Nur Schubladen denken in Schubladen (Zur Podcast Eröffnung)

Posted: 14. Februar 2018

Ich kenne den richtigen Weg. Den einzig richtigen. Und ich will, dass du ihm folgst, denn wenn du es nicht tust, dann … ja, dann bist du nicht echt. Dann kannst du nicht das sein, was du behauptest sein zu wollen. … So, oder so ähnlich, fühle ich mich manchmal, wenn ich durch einige Foren und Gruppen scrolle. Zu Beginn meiner Laufbahn bereitete mir diese Einstellung mancher Leute bereits Kopfschmerzen, aber die scheint sich in den letzten Jahren kaum verändert zu haben.

In einigen Bereichen der Fotografie ist man schon sehr tolerant, was Stil, Motivauswahl und den Grad der Bildbearbeitung angeht. Schön ist, was gefällt, solange man es für sich rechtfertigen kann. Und erlaubt ist sowieso fast alles. In der Tierfotografie bekomme ich immer wieder den Eindruck, als würden es noch Potential nach oben geben, denn momentan herrschen hier scheinbar diese zwei Extreme:

  • Du musst digitale Bearbeitung für deine Fotos nutzen, sonst bist du unprofessionell
  • Wenn du digitale Bearbeitung für deine Fotos nutzen musst, bist du unprofessionell

Ein feiner, aber großer Unterschied. Dieser Artikel soll nicht davon handeln, das eine oder andere Extrem anzupreisen. Ich habe andere Absichten.
Als ich vor einigen Jahren anfing, meine Retuschen online zu präsentieren, erntete ich nicht nur Zustimmung. Ganz im Gegenteil. Oftmals wurde ich so barsch angegangen, dass ich tatsächlich an meinen Fähigkeiten zweifelte.
Ich war definitiv nicht die erste, die Retusche am Pferd vollzog .. aber scheinbar überschritt ich eine Grenze, die viele Gemüter erhitzte.
Aber keine Angst, es geht auch andersrum: Als ich mich irgendwann in einem Pensum ansiedelte, in dem ich den Aufwand meiner Bildbearbeitung halten wollte, wurde Retusche auf den sozialen Netzwerken immer populärer. Die Leute retuschierten, als gäbe es kein Morgen. Alles wurde ausgetauscht – Augen, Mähne, teilweise Beine oder sogar ganze Landschaften. Plötzlich stand ich diesem anderen Extrem gegenüber und dachte: 
Können meine Fotos überhaupt noch mithalten, wenn ich nicht so viel retuschieren möchte?

Es dauert ein wenig, bis ich auf diese Frage eine Antwort fand, die mich zufriedenstellte. Als ich versuchte zu verstehen, wie die Extreme überhaupt zustande kamen, ging mir plötzlich ein Licht auf: Was, wenn ich in keine der beiden Schubladen gehörte?

Seit wann tue ich Dinge, einfach aus dem Grund, weil man sie eben so macht? Wenn andere von Brücken springen, tue ich das doch auch nicht – um es mal mit dem erzieherischen Satz zu erklären, den sicherlich jeder mal gehört hat. Wurde ich nicht so erzogen, Handlungen zu hinterfragen, bevor ich sie ausführte?

Seit wann ist die Fotografie ein einfaches Regelwerk, das kalt und sachlich abgearbeitet wird?
Seit wann muss ich mich für eine Seite entscheiden, und darf sie danach nicht mehr wechseln?

Für mich war die wichtigste Eigenschaft der Fotografie immer, dass sie uns die Möglichkeit gibt, uns auszudrücken. Und um mich auszudrücken, musste ich ein Werkzeug finden. Ob das beinhaltete, Photoshop zu nutzen oder nicht, sollte dabei doch eher nebensächlich sein.

In der Fotografie schaffe ich meine eigene Realität. Manchmal spiegelt das genau das wider, was ich vor meiner Linse sehe, aber nicht selten zeigt es auch etwas völlig anderes. Wenn ein Maler statt eines Pinsels seine Finger oder ein anderes Werkzeug nutzt, um die Farbe auf der Leinwand zu verteilen – darf er sich dann nicht mehr Maler nennen? Doch, darf er.

Was für dich eine 9 ist, kann für den anderen eine 6 sein. Was für dich richtig ist, muss nicht zwangsweise auch für andere stimmen. Wichtig ist es, überhaupt eine eigene Meinung zu entwickeln, damit man hinter den eigenen Arbeiten stehen kann. Ohne solch einer Einstellung schwimmt man ewig zwischen den Schubladen umher, ohne jemals das Gefühl zu haben, sich selbst tatsächlich gerecht zu werden.

Ich bin längst über den Punkt hinaus, an dem ich mir darüber Sorgen mache, in welche Schublade ich passe. Ich will nämlich überhaupt in gar keine rein. Was ich eigentlich mit diesem Artikel sagen möchte ist, dass man sich Gedanken machen sollte. Hinterfrage alles – dein Sehen, deine Gefühle, deine Werkzeuge, um am Ende etwas zu schaffen, das du im Herzen gesehen hast. Wenn du etwas mit dem Herzen abbildest, dann wird es auch die Herzen von anderen berühren. Und falls es das nicht tut, dann ist es nicht schlimm. Du hast aus einer anderen Intention gehandelt und nicht die Ansprüche von anderen als Messlatte genommen, sondern deine eigenen geschaffen. Du hast dich selbst hinterfragt, und bist damit ein Stück gewachsen. Das nennt man „Gewinnen“.

Das es nicht immer so einfach ist, seine eigenen Werte zu finden und sie in der Welt auch wirklich zu vertreten, weiß ich aus eigener Erfahrung sehr gut. Nicht selten fand ich mich in Sackgassen, erkannte meine eigenen Fotos nicht mehr oder wurde von außen für meine Definition der Fotografie belächelt. Aber ich bin auch ein Beispiel dafür, dass man so was nur bedingt an sich ranlassen sollte und dass man aus dem Kreislauf der äußerlichen Wertung austreten kann, wenn man mutig genug ist. Das bedeutet nämlich, sich selbst zu reflektieren. Manchmal zeigt das einem Seiten von sich auf, die man nicht so gerne sieht – aber auch hier beginnt ein neuer Wachsumsprozess, der sich lohnt. In der ersten Folge meines Podcasts „Let’s Grow – Sei eine Stimme, kein Echo“ nehme ich mir etwas mehr Zeit, um dir von diesem innerlichen Kampf zu erzählen und dir du zeigen, wie befreiend sich der Sieg über das eigene Ego anfühlen kann.

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1 Comment

  • Lea 23. April 2018 at 13:37

    Sehr schön geschrieben und tolle Einstellung.

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