Es war ein Morgen wie jeder andere – und irgendwie doch nicht

Posted: 30. November 2017

Jeder verarbeitet Emotionen auf eine andere Art. Der eine fühlt sich dazu berufen, helle und freundliche Fotos zu gestalten, um seinem Leben wieder ein Licht zu schenken – und andere bilden die Trostlosigkeit ihres Inneren ganz unverfroren ab. Was man bei Dichtern behauptet, kann auch auf Fotografen zutreffen: So richtig intensiv und bewegend werden ihre Werke erst, wenn das Herz entweder überläuft oder es zerbricht.

 

 

Schaue ich auf mein Portfolio, kann ich die Fotos, die mir persönlich sehr viel bedeuten, an einer Hand abzählen. Erstaunlicherweise kann ich ihnen auch eine gewisse Stimmung zuordnen, an die ich mich erinnere. Ich sehe sie an und weiß, wie verzweifelt, orientierungslos oder gar überglücklich ich mich fühlte. Es spiegelt sich in allem wider: In den Farben, in den Formen, in der Komposition und vor allem spiegelt es sich in dem Moment wider, den ich ausgewählt habe.
Ohne Frage sensibilisieren uns Gefühle für gewisse Momente, und in wie fern, darüber entscheidet jeder Mensch selbst. Die einen fühlen sich zu hellen Farben hingezogen, während andere im Schutz der Dunkelheit verweilen wollen. Die einen gehen auf Tuchfühlung und entscheiden sich für Details, für die Schönheit in den kleinen Dingen. Andere entfernen sich vom Motiv – vielleicht so, wie von sich selbst – und entdecken plötzlich ganz andere Seiten an ihrer Arbeit.

Die folgenden Fotos sollen sich nicht um Qualität drehen, nicht um Kompositionen oder Bildausschnitte. Sie drehen sich um Gefühle, um meine Wahrnehmung, um meinen Umgang mit dem Thema Tod.

Es war ein Morgen wie jeder andere – und irgendwie doch nicht. Wenige Stunden zuvor blieb die Welt für mich stehen, so wie das Herz von dir. Aber dann drehte sich die Welt einfach weiter, und ich konnte nichts tun. Ich wollte, dass der Moment verweilt, dass ich Zeit habe, nachzudenken und zu begreifen, was ich fühle. Vieles davon weiß ich heute noch nicht, und vielleicht werde ich es auch niemals erfahren. Ich weiß nur, dass ich fotografieren musste. Und ich weiß auch, dass diese Fotos nicht zum Meisterwerk meiner Arbeit werden würden, aber ich wusste, dass sie mir helfen. Zu verstehen, zu akzeptieren, weiter zu machen. Die Welt drehte sich weiter – aber die Gefühle, die mussten irgendwohin. Ich war schon so voll, voll von einem Jahr voller Auf und Ab, voller Gedanken und Ideen, voller Zweifel und schönen Erinnerungen. Wo sollte die Trauer da Platz finden? Und somit entschied ich mich dafür, nach einer schlaflosen Nacht die Kamera in die Hand zu nehmen. Eine Entscheidung, die ich nicht bereue, selbst wenn die Fotos nach Außen hin nicht nach viel aussehen. Für mich bedeuten sie alles und waren der Anfang eines Trauerprozesses.

Meine Kamera war mir in diesem Jahr oftmals sehr fremd. Ich selbst war mir sehr fremd, und manchmal fühlte ich mich tatsächlich meilenweit von mir entfernt. Wäre ich mir selbst auf der Straße begegnet, hätte ich mich wahrscheinlich gar nicht erkannt. Und als ich an jenem Morgen meine Kamera in die Hand nahm, fühlte es sich an, als würde eine Stimme in meinem Kopf sagen: „Schön, dass du wieder da bist. Alles wird gut.“ Und an diese Stimme musste ich tatsächlich glauben, denn der Morgen stellte mich auf weitere Proben. Alles, was ich wollte, war es zu fotografieren. Hingegen schob sich eine dunkle Wolke vor den schönen Sonnenaufgang und unsere bislang einzigartige Fotolocation war abgemäht und stellenweise sogar von schlammigen Traktorspuren zerstört. Ich fühlte mich, als wären diese Traktoren nicht nur auf dem Feld gewesen, sondern als wären sie direkt durch mein Herz gefahren. Ich weiß noch, wie die Verzweiflung in mir aufstieg und ich mich tatsächlich zusammen reißen musste, nicht in Tränen auszubrechen. Normalerweise gibt es für jede Location einen Plan B, C, D und E – aber in diesem Fall, mit allem, was wenige Stunden zuvor passiert war, fühlte es sich an, als wollte die Welt mir sagen: Lass es – hör auf – geh nach Hause. Aber das war keine Option. Ich weigerte mich, diesem Gefühl nachzugeben. Und so suchte ich nach Alternativen, probierte aus und wurde mit ein paar Sonnenstrahlen belohnt.

Als ich anschließend nach Hause kam, habe ich ein Foto direkt fertig bearbeitet, bevor ich die Bildauswahl für einige Zeit beiseite legen musste. Selbst heute, als ich sie das erste Mal seitdem geöffnet habe, fiel es mir schwer, sie zu beurteilen. Sie überhaupt objektiv zu betrachten, und schließlich wurde mir klar, dass Objektivität hier keinen Platz hat. Hier ging es nicht darum, eine Kampagne zu shooten oder das du fotografieren, was ich sonst auch tue. Das hier habe ich für niemanden gemacht außer für mich selbst. Dennoch wollte ich die Fotos hier gar nicht zeigen, weil ich dachte: Das bist nicht du. So dunkel und farblos warst du niemals, und wirst du niemals sein. Aber ich muss mir eingestehen: Doch, das bin ich. Nicht jetzt, nicht morgen. Und auch nicht gestern. Aber im Oktober, an diesem Morgen, da war ich es. Daran konnte die Sonne, die verwunschen durch die Blätter strahle, nichts ändern. Und obwohl ich mich an dem Morgen weigerte, mich hilflos zu fühlen, spiegelt sich genau dieses Gefühl in den Fotos wider – und das überrascht mich am meisten.

Wir können uns scheinbar gegen unsere Gefühle wehren, sie abstreiten und zur Seite schieben, aber sie werden immer einen Weg finden, um aus uns heraus zu brechen.

 

deine Carina

 

1 Comment

  • Tim 24. Juni 2018 at 14:30

    Sehr schön, mir gefällt die Stimmung der Bilder sehr!

    Reply

Schreibe einen Kommentar zu Tim Cancel Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.